Der Zusammenhang zwischen Bindungstrauma und dem Internatssyndrom
In einem spannenden Interview mit der Wiener Zeitung teile ich Einblicke zum Thema Internatssyndrom – warum frühe Trennungen oft tiefe Spuren hinterlassen. Hier lesen.“
Kinder sind zutiefst soziale Wesen. Von Geburt an sind sie darauf angewiesen, stabile, liebevolle Bindungen zu ihren Bezugspersonen zu entwickeln, um sich sicher und geborgen zu fühlen. Diese Bindungen sind die Grundlage für eine gesunde emotionale und psychologische Entwicklung. Wenn Kinder jedoch durch äußere Umstände – wie den Aufenthalt in einem Internat – von ihren Eltern getrennt werden, kann dies tiefe Wunden hinterlassen, die oft als Bindungstrauma bezeichnet werden. In diesem Artikel beleuchten wir die Zusammenhänge zwischen Bindungstrauma und dem Internatssyndrom und zeigen, wie diese Erfahrungen das Leben nachhaltig beeinflussen können.
Unsere Bindung zu unseren Bezugspersonen gibt uns das Gefühl von Sicherheit, Vertrauen und Schutz.
Was ist ein Bindungstrauma?
Ein Bindungstrauma entsteht, wenn die natürliche Bindung zwischen einem Kind und seinen Bezugspersonen durch Trennung, Vernachlässigung oder emotionale Verletzungen unterbrochen wird. Diese Art von Trauma kann bei Kindern entstehen, die in entscheidenden Entwicklungsphasen keine Sicherheit, Unterstützung und Nähe erfahren. Die Folgen eines Bindungstraumas zeigen sich oft in Form von:
Schwierigkeiten, enge Beziehungen aufzubauen oder aufrechtzuerhalten,
tief verwurzeltem Misstrauen gegenüber anderen Menschen,
emotionaler Abgestumpftheit oder Überreaktion,
einem Gefühl von Einsamkeit und innerer Leere.
Wenn Kinder plötzlich und unerwartet von ihren Eltern getrennt werden, wie es bei einem Aufenthalt im Internat häufig der Fall ist, kann dies als Schocktrauma erlebt werden und zusätzlich zu einem Bindungstrauma führen.
Das Internat kann Gefühle des Verlassenwerdens, der tiefen Trauer und der steten Unsicherheit im inneren eines Kindes erzeugen.
Internatssyndrom: Ein Muster von Bindungsverletzungen
Das Internatssyndrom beschreibt die psychologischen und emotionalen Langzeitfolgen, die entstehen, wenn Kinder in jungen Jahren auf ein Internat geschickt werden. Sie verlieren nicht nur ihre gewohnte Umgebung, sondern auch den kontinuierlichen Kontakt zu ihren Eltern – den Menschen, die eigentlich ihre wichtigste emotionale Stütze sein sollten.
Laut der Psychoanalytikerin Dr. Joy Shaverien, die das Konzept des Internatssyndroms geprägt hat, erleben viele ehemalige Internatsschüler*innen eine Kombination aus:
Abandonment (Verlassenwerden): Die Trennung von den Eltern wird als tiefer Verlust empfunden, der oft das Vertrauen in zukünftige Beziehungen beeinträchtigt.
Bereavement (Trauer): Das Kind trauert um die Vertrautheit und Geborgenheit seines Zuhauses.
Captivity (Gefangenschaft): Internate haben oft strenge Regeln und wenig Raum für Individualität, was das Gefühl von Kontrolle und Freiheit einschränkt.
Dissociation (Dissoziation): Um den Schmerz zu überleben, schalten Kinder ihre Emotionen ab – eine Strategie, die sie oft ins Erwachsenenalter mitnehmen.
Wenn der Schmerz und die Trauer so groß sind, dass sie nicht ertragen werden können, greift der Schutzmechanismus der Dissoziation
Was ist eine Dissoziation?
Dissoziation ist ein psychologisches Phänomen, bei dem eine Person vorübergehend den Kontakt zu bestimmten Aspekten ihrer Wahrnehmung, ihres Bewusstseins, ihrer Gefühle oder ihres Körpers verliert. Es ist eine natürliche Schutzreaktion des Gehirns auf überwältigende oder traumatische Erfahrungen, die das Ziel hat, den Schmerz oder die Belastung zu mindern.
Wichtige Merkmale der Dissoziation:
Emotionale Abspaltung: Gefühle wie Angst, Schmerz oder Trauer werden nicht bewusst wahrgenommen.
Veränderung der Wahrnehmung: Die Welt oder man selbst kann als unwirklich oder wie "von außen betrachtet" erlebt werden (Depersonalisation oder Derealisation).
Gedächtnisverlust: Teile eines traumatischen Erlebnisses können nicht erinnert werden (Amnesie).
Trennung vom Körper: Es kann sich anfühlen, als ob man nicht mehr vollständig im eigenen Körper präsent ist.
Dissoziation ist oft eine Überlebensstrategie, die in akuten Stress- oder Traumasituationen auftritt, um den Betroffenen zu schützen. Wenn sie jedoch dauerhaft bestehen bleibt, kann sie das Leben und die Beziehungen der betroffenen Person beeinträchtigen und ist dann oft ein Symptom für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder andere Traumafolgen.
Der Zusammehang zwischen dem Internatssyndrom und Bindungstrauma
Der Zusammenhang zwischen Bindungstrauma und Internatssyndrom
Ein Aufenthalt im Internat kann bei jungen Kindern eine massive Unterbrechung der Bindungsentwicklung darstellen. Während sich ihre emotionalen und sozialen Fähigkeiten noch in der Ausbildung befinden, werden sie plötzlich in eine Umgebung gebracht, in der sie gezwungen sind, ohne die vertraute Unterstützung ihrer Eltern zurechtzukommen. Diese frühe Trennung führt oft dazu, dass Kinder:
sich von ihren Gefühlen abkoppeln, weil sie keinen sicheren Raum haben, diese auszudrücken,
Probleme entwickeln, Vertrauen in andere Menschen aufzubauen,
Schwierigkeiten haben, mit Konflikten oder emotionaler Nähe umzugehen.
Das Internatssyndrom ist somit oft die Folge eines tiefgreifenden Bindungstraumas, das die Betroffenen daran hindert, gesunde Beziehungen aufzubauen und ihre eigene Identität zu entwickeln.
Innere Leere im Erwachsenenalter als Spätfolge des Internatsyndroms
Langfristige Folgen von Bindungstrauma und Internatssyndrom
Die Auswirkungen eines Bindungstraumas und des Internatssyndroms zeigen sich nicht nur in Kindheit und Jugend, sondern oft auch im Erwachsenenalter. Betroffene berichten häufig von:
Schwierigkeiten, tiefe emotionale Bindungen einzugehen oder sich auf Partnerschaften einzulassen,
einem Gefühl von innerer Leere oder emotionaler Taubheit,
ständiger Selbstkritik und Schamgefühlen,
Schwierigkeiten, die eigene Würde und den eigenen Wert zu erkennen.
Besonders belastend ist, dass diese Muster oft unbewusst ablaufen und sich erst dann zeigen, wenn die Betroffenen eigene Kinder bekommen oder mit tiefen Krisen konfrontiert werden.
Die gute Nachricht ist, dass Heilung möglich ist. Traumasensibles Coaching hilft dir auf eine sanfte Art und Weise dabei, die Folgen und Symptome deines Bindungstraumas zu heilen.
Wenn du Unterstützung auf deinem Heilungsweg möchtest, melde dich gern bei mir!
Es ist nie zu spät für Heilung!
Deine Lill